Opfern wir den Dollar oder die Treasuries? Was die neue US-Sicherheitsstrategie wirklich für Anleger bedeutet

Es gibt politische Strategiepapiere, die man einmal liest und wieder vergisst. Und es gibt solche, bei denen man merkt: Hier wird etwas ausgesprochen, das lange unausgesprochen im System steckte. Die US National Security Strategy 2025 gehört eindeutig zur zweiten Kategorie.

Die National Security Strategy 2025. 33 Seiten, die auch Anleger betreffen.

Zwischen wohlklingenden Formeln über Freiheit, Führung und freie Märkte stehen Aussagen, die – nüchtern gelesen – eine klare wirtschaftliche Konsequenz haben. Die USA wollen reindustrialisieren, Lieferketten zurückholen, energiepolitisch autark werden, die Verteidigung massiv hochfahren, Verbündete zu höherer Lastenteilung zwingen und gleichzeitig die Dominanz des US-Dollars sowie der amerikanischen Kapitalmärkte bewahren.

Politisch klingt das nach Stärke. Ökonomisch ist es ein Zielkonflikt.

Warum Wunschzettel an der doppelten Buchführung scheitern

Denn Volkswirtschaften funktionieren nicht nach Wunschzetteln, sondern nach buchhalterischen Identitäten. Leistungsbilanz und Kapitalbilanz müssen sich ausgleichen. Wer das ignoriert, kann kurzfristig Narrative produzieren, aber langfristig keine Stabilität.

Die zentrale Frage, die sich aus der NSS ergibt, lautet deshalb nicht, ob die Strategie gut oder schlecht ist. Sie lautet:

Wird Amerika den Dollar opfern – oder den Markt für US-Staatsanleihen?

Beides gleichzeitig zu retten, ist rechnerisch nicht möglich.

Kurz gesagt: Eine stärkere Industrie erfordert höhere Löhne, mehr staatliche Ausgaben und in der Regel einen schwächeren Dollar. Ein starker Dollar und ein stabiler Treasury-Markt hingegen setzen niedrige Inflation, hohe Kapitalzuflüsse aus dem Ausland und begrenzte fiskalische Experimente voraus. Reindustrialisierung ist inflationär, Inflation entwertet Anleihen real, und ein starker Dollar untergräbt genau jene heimische Produktion, die man politisch stärken will. Man kann entweder die Gläubiger der Vergangenheit schützen – oder die industrielle Basis der Zukunft aufbauen. So wie es aussieht präferiert die NSS die Zukunft.

Das Ende der Massenmigration ist das Ende des alten Wirtschaftsmodells

Ein besonders aufschlussreicher Satz im Dokument lautet, die „Ära der Massenmigration“ sei vorbei. Das ist mehr als Innenpolitik. Es ist die Abkehr von einem Wirtschaftsmodell, das seit den frühen 1990er Jahren tragend war: billige Arbeit, globale Lieferketten, ausgelagerte Industrie, steigende Finanzgewinne – und im Krisenfall staatliche Rettung über höhere Schulden.

Wenn Migration begrenzt, Produktion zurückgeholt und strategische Industrien politisch priorisiert werden, steigen zwangsläufig die Kosten. Löhne steigen, Margen geraten unter Druck, Inflation wird strukturell höher. Das ist kein Fehler im System, sondern die logische Folge einer realwirtschaftlichen Neuordnung.

Für Anleger bedeutet das vor allem eines: Langlaufende Staatsanleihen verlieren ihre alte Rolle. Sie mögen nominal zurückzahlen, aber real werden sie zum Anpassungsmechanismus des Systems. Wer glaubt, man könne Reindustrialisierung, Aufrüstung, Energieautarkie und hohe Sozialausgaben finanzieren, ohne die Gläubiger der Staatsbilanz zu belasten, verwechselt Politik mit Mathematik.

Burden-Sharing heißt Kapitalumlenkung – nicht nur mehr Waffen

Die NSS ist in dieser Hinsicht bemerkenswert ehrlich. Sie fordert von Verbündeten mehr Verteidigungsausgaben, mehr Eigenverantwortung und mehr regionale Stabilisierung. Was geopolitisch sinnvoll sein mag, bedeutet finanziell: Kapital bleibt häufiger im eigenen Land, statt als Überschuss in US-Treasuries oder US-Aktien zu fließen.

Die jahrzehntelange automatische Finanzierung amerikanischer Defizite durch den Rest der Welt beginnt zu bröckeln. Entweder steigen die Renditen – mit allen Folgen für Märkte und Staatshaushalt – oder die Notenbank greift steuernd ein. In beiden Fällen verlieren Anleihehalter real.

Vom Finanzimperium zum Rohstoffkäufer

Besonders deutlich wird der Paradigmenwechsel im Kapitel zu kritischen Rohstoffen und Lieferketten. Zwischen den Zeilen steht eine implizite Kapitulation vor einer alten Annahme: Dass finanzielle Dominanz ausreicht, um jederzeit physischen Zugriff auf reale Ressourcen zu haben.

China hat seine Dollarüberschüsse über Jahre genutzt, um Minen, Infrastruktur und Lieferketten zu sichern. Die USA reagieren nun, indem sie selbst beginnen, finanzielle Ansprüche gegen reale Güter zu tauschen. Staatskredite, Exportfinanzierung, Beteiligungen an Rohstoffprojekten – alles Instrumente, die letztlich eines signalisieren: Papier allein reicht nicht mehr.

Warum Gold still und leise zurückkehrt

Für globale Reservehalter ist das ein starkes Signal. Wenn der Emittent der Weltleitwährung selbst zeigt, dass er reale Assets gegenüber finanziellen bevorzugt, verändert sich zwangsläufig das Reserveverhalten. Dass Zentralbanken weltweit ihre Goldbestände ausbauen, ist keine ideologische Entscheidung, sondern eine nüchterne Risikoabwägung.

Gold ist in diesem Kontext kein Spekulationsobjekt, sondern ein neutraler Bilanzanker. Es ist politisch ungebunden, nicht beliebig vermehrbar und außerhalb nationaler Zahlungsversprechen angesiedelt. Ob man Gold mag oder nicht, ist dabei irrelevant – entscheidend ist, wie sich systemisch relevante Akteure positionieren.

Die unbequeme Frage an jedes Portfolio

Für Anleger stellt sich damit eine unbequeme Frage: Wie viel ihres Portfolios ist noch auf eine Welt ausgerichtet, die es so nicht mehr gibt?

Warum die 60/40-Weltordnung ausläuft

Die letzten vierzig Jahre waren geprägt von fallenden Zinsen, Globalisierung, disinflationären Schocks und stetigen Kapitalzuflüssen in westliche Finanzmärkte. Die klassische Logik – lange Duration, hohe Bewertungen, Finanz- und Wachstumswerte – war Ausdruck dieser Ordnung.

Die neue Ordnung ist realwirtschaftlich – nicht finanziell

Die NSS beschreibt eine andere Welt. Eine Welt mit knapperer Energie, politisierten Lieferketten, höheren Verteidigungsausgaben und einer Rückkehr realer Knappheiten. In dieser Welt gewinnen nicht primär jene, die Forderungen halten, sondern jene, die Kontrolle über Produktion, Energie, Infrastruktur und sicherheitsrelevante Kapazitäten besitzen.

Das bedeutet nicht den Zusammenbruch des Systems. Es bedeutet seine Umgewichtung.

Energie, Rohstoffe, Industrie, Verteidigung, Infrastruktur – all das sind keine kurzfristigen Trades, sondern strukturelle Bausteine einer neuen Ordnung. Gleichzeitig verlieren Assets an Attraktivität, die ausschließlich auf finanzielle Repression, niedrige Zinsen und stetige Liquidität angewiesen sind.

Zwei Versprechen, eine Rechnung

Die US-Sicherheitsstrategie versucht, zwei Versprechen gleichzeitig zu halten: globale Finanzdominanz und nationale industrielle Souveränität. Politisch ist das nachvollziehbar. Ökonomisch wird die Rechnung am Ende jemand bezahlen müssen.

Als Investor hat man den Vorteil, diese Rechnung nicht blind zu akzeptieren. Man kann sie lesen, bevor sie gestellt wird – und sein Portfolio so ausrichten, dass es von realen Anpassungen profitiert, statt von ihnen überrascht zu werden.

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