Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA – und ihre Folgen für Anleger
Die National Security Strategy (NSS) der USA von November 2025 ist mehr als nur ein klassisches sicherheitspolitisches Dokument. Man muss sie als ein wirtschaftspolitisches Programm mit geopolitischer Begründung verstehen. Für Anleger stellt sie einen klaren Wendepunkt dar: Die Strategie beschreibt nichts weniger als den Versuch der USA, ihre wirtschaftliche, industrielle und militärische Basis gleichzeitig zu stärken. Genau darin liegen ihre Sprengkraft – und ihre Investitionsimplikationen. Dieser Text ordnet die zentralen Aussagen der NSS wirtschaftlich ein, zeigt die strukturellen Folgen und Widersprüche auf und leitet daraus Konsequenzen für die Asset Allocation ab.
Die National Security Strategy 2025. 33 Seiten, die auch Anleger betreffen.
Die wichtigsten Punkte – und ihre wirtschaftliche Implikation
Re-Industrialisierung als nationale Sicherheitsfrage
Die USA erklären industrielle Produktionsfähigkeit ausdrücklich zur Kernkomponente nationaler Sicherheit. Lieferketten sollen zurückgeholt, industrielle Abhängigkeiten reduziert und strategische Industrien politisch geschützt werden. Zölle, Exportkontrollen, staatliche Finanzierung und gezielte Subventionen werden nicht als Ausnahme, sondern als neue Normalität beschrieben.
Ökonomisch ist das ein Paradigmenwechsel: Kapital wird nicht mehr dort eingesetzt, wo es am effizientesten ist, sondern dort, wo es politisch erwünscht ist. Es entsteht eine politisch erzwungene Kapitalallokation. Für Europa verschärft sich damit der Wettbewerb um Industrieinvestitionen fundamental – nicht über Produktivität oder Innovationskraft, sondern über Energiepreise, Regulierung und staatliche Rückendeckung.
Energie ist Infrastruktur des Systems
Energiepolitik wird in der NSS nicht als Regulierungsfrage, sondern als Machtfrage behandelt. Öl, Gas und Kernenergie gelten als Voraussetzung für industrielle Skalierung, militärische Einsatzfähigkeit und technologische Führerschaft – insbesondere im Kontext von KI, Rechenzentren und Verteidigungstechnologie.
Damit wird Energie vom Sektor zur systemischen Infrastruktur. Für Europa bedeutet das einen strukturellen Wettbewerbsnachteil: hohe Energiepreise wirken nicht mehr nur zyklisch, sondern als dauerhafter Margen- und Standortnachteil.
Burden-Sharing ist Kapitalumlagerung
Die Forderung nach deutlich höheren Verteidigungsausgaben der Verbündeten ist ökonomisch kein Randthema, sondern eine Umverteilung globaler Kapitalströme. Mittel, die bislang in Konsum, Soziales oder Kapitalmärkte flossen, werden in Rüstung, Energie und industrielle Kapazitäten umgeleitet.
Für Europa heißt das: steigende Staatsausgaben bei gleichzeitig geringerer fiskalischer Flexibilität. Sicherheit wird zur Priorität – Wachstum zur nachgeordneten Variable.
Kritische Rohstoffe: Vom Preismechanismus zur Zugriffssicherung
Die NSS macht klar, dass kritische Rohstoffe nicht mehr primär über Märkte beschafft werden sollen. Staatliche Beteiligungen, Finanzierungsprogramme und geopolitischer Einfluss ersetzen den Preismechanismus.
Das ist ein stiller Systemwechsel: Wer physischen Zugriff hat, diktiert Bedingungen. Offene Volkswirtschaften ohne eigene Rohstoffbasis zahlen den Preis – in Form höherer Kosten, größerer Volatilität und politischer Abhängigkeit.
Die NSS macht deutlich, dass der Zugang zu kritischen Rohstoffen nicht mehr dem Markt überlassen werden soll. Die USA setzen auf direkte Beteiligungen, staatliche Finanzierung und geopolitische Einflussnahme, um physischen Zugriff auf Ressourcen zu sichern.
Grundsätzliche wirtschaftliche Folgen und innere Widersprüche
Die Strategie offenbart einen fundamentalen Zielkonflikt: wirtschaftliche Souveränität versus ökonomische Effizienz. Re-Shoring, Deglobalisierung und energiepolitische Autarkie erhöhen die strategische Sicherheit, wirken aber strukturell inflationär und senken die langfristige Kapitalrendite.
Gleichzeitig beanspruchen die USA weiterhin die Rolle des globalen Finanzzentrums und des Emittenten der Weltreservewährung. Genau hier entsteht der zentrale Widerspruch dieser Strategie. Eine Welt, in der Lieferketten politisiert, Kapitalströme gelenkt und Verbündete zu höheren Eigeninvestitionen gezwungen werden, ist keine Welt stabiler, deflationärer Kapitalzuflüsse in US-Finanzmärkte.
Ökonomisch läuft diese Konstellation auf eine binäre Konsequenz hinaus: Entweder leidet der US-Dollar oder der US-Staatsanleihemarkt – real werden sehr wahrscheinlich beide verlieren.
Soll der Dollar stark bleiben, erfordert das höhere reale Zinsen und die Akzeptanz geringerer ausländischer Kapitalzuflüsse. Die Folge sind steigende Renditen, Druck auf Langläufer und höhere Finanzierungskosten für Staat und Wirtschaft.
Wird hingegen versucht, den Anleihemarkt zu stabilisieren – etwa durch implizite Zinsdeckelung oder finanzielle Repression –, geschieht dies auf Kosten der Währung. Der Dollar verliert real an Kaufkraft, Inflation wird zum sicherheitspolitischen Ventil, und reale Vermögenswerte gewinnen gegenüber nominalen Forderungen an Bedeutung.
In beiden Fällen ist das Ergebnis dasselbe: Nominale Stabilität wird gegen reale Substanz eingetauscht.
Weiter denken als man sehen kann: Konsequenzen für die Asset Allocation europäischer Anleger
Für Anleger markiert die NSS einen klaren Regimewechsel. Portfolios, die implizit auf Deflation, Globalisierung und stetig fallende Zinsen ausgerichtet sind, verlieren strukturell an Robustheit.
Erstens: Langlaufende Staatsanleihen sind kein stabiler Anker mehr, sondern ein politisches Instrument. Inflation, fiskalische Belastungen und geopolitische Risiken sprechen für kürzere Laufzeiten und reale Alternativen.
Zweitens: Reale Assets werden vom taktischen Baustein zum strategischen Kern. Energie, Rohstoffe, Infrastruktur und Industrie sind nicht zyklische Wetten, sondern die physische Basis des neuen Systems.
Drittens: Verteidigung ist kein temporärer Sonderzyklus, sondern Ausdruck einer dauerhaft höheren Sicherheitsprämie. Rüstungsausgaben sind politisch verankert und entziehen sich klassischen Konjunkturmustern.
Viertens: Gold ist weniger Krisenversicherung als Bilanzersatz. In einem Umfeld politisch instrumentalisierter Schulden steigt der Wert von Assets ohne Gegenparteirisiko.
Fünftens: Geschäftsmodelle, die auf billiger Energie, offenen Märkten und regulatorischer Planbarkeit beruhen, sollten neu bewertet werden. Politische Eingriffe werden zum dominanten Risikofaktor – nicht zum Ausnahmefall.
Die neue US-Sicherheitsstrategie ist kein sicherheitspolitischer Sonderfall, sondern ein ökonomischer Umbauplan. Wer ihn bilanziell liest, erkennt: Die Spielregeln für Kapital haben sich verändert – und mit ihnen die Anforderungen an eine zukunftsfähige Asset Allocation.
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